Selbstfürsorge

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Bin ich auch noch da?

Als Eltern eines Kindes mit komplexen Beeinträchtigungen ist es häufig besonders schwer, Zeit für sich selbst zu schaffen und Selbstfürsorge umzusetzen.

„Die Löwin zu sein für das eigene Kind fiel mir leichter, als für meine eigenen Dinge einzustehen. Es gab Zeiten, da habe ich meine eigenen Bedürfnisse nicht mehr wahrnehmen können.“

Mutter eines schwer kranken Kindes

Aus „Unbeschreiblich mütterlich?“ von Iris Kielau und Ines Nowack, Seite 40

Für Eltern ist es in der Regel eine Selbstverständlichkeit beziehungsweise ein Bedürfnis, für ihr Kind da zu sein. Von einem Moment zum anderen stellen sie sich und den Familienalltag um und 
stellen eigene Bedürfnisse zurück, um ihr Kind in der Krankheit zu begleiten und zu versorgen.

Es liegt nahe, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse weiter hintanzustellen. Wie kann ich mich nach Nähe, Wertschätzung, Liebe, Anerkennung im Beruf oder ausgleichenden Aktivitäten wie Sport, Freizeit und vielem mehr sehnen, wenn mein Kind schwer erkrankt ist? Ich möchte vor allem, dass es ihm besser geht. Solche oder ähnliche Gedanken hatten Sie vielleicht auch schon einmal. 

Hinzu kommt, dass sich für Eltern eines schwer kranken Kindes kaum freie Zeit ergibt. Es ist eine große Herausforderung, sich Auszeiten zu schaffen. Dennoch möchten wir Sie ermutigen, es zu versuchen, da Ihre neue Lebenssituation Ihnen sehr viel abverlangt. Es wird Ihnen trotz guter Absichten nicht immer gelingen, Auszeiten von der Versorgung Ihres Kindes zu nehmen. Aber die Erfahrung, dass dies wohltuend und entlastend ist, kann Ihnen helfen, den Vorsatz immer wieder neu zu fassen. 

Um sich einen Moment für sich selbst Zeit zu nehmen, sind oft zahlreiche organisatorische Vorbereitungen vonnöten. Es braucht aber auch – und vor allem – eine innere Bereitschaft, die Versorgung Ihres Kindes vorübergehend in andere Hände zu geben und sich einen persönlichen Freiraum zuzugestehen. Ein wichtiger Baustein dafür ist die Akzeptanz der Erkrankung Ihres Kindes und Ihrer sich daraus ergebenden neuen Lebenssituation. Nach unserer Erfahrung kann es herausfordernd für Eltern sein, sich diese Bereitschaft zu erarbeiten.

Hilfe annehmen und sich verlassen können

Als Eltern eines pflegebedürftigen Kindes befinden Sie sich im Dauereinsatz. Umso mehr ist eine gute Planung des Pflegealltags erforderlich, um sich für eigene Bedürfnisse Freiräume – und seien es auch noch so kleine – zu schaffen.

Gut zu wissen: 
Sie haben Anspruch auf verschiedene gesetzliche Leistungen, die wir Ihnen in 
„Langzeitentlastung“ vorstellen.

Denken Sie darüber hinaus an die Möglichkeit, neben Familienmitgliedern auch Freundinnen und Freunde oder Menschen aus der Nachbarschaft in Ihre Entlastung mit einzubeziehen.

Die Menschen in Ihrem Umfeld möchten vielleicht gerne helfen, wissen aber möglicherweise nicht, wie sie sich Ihnen gegenüber verhalten sollen. Gegebenenfalls fällt es auch Ihnen nicht leicht, jemanden um konkrete Unterstützung zu bitten. Wir möchten Sie aber in dem Vorsatz dazu ausdrücklich bestärken. 

Vielleicht kennen Sie die Situation: Obwohl Sie vor lauter Aufgaben und Pflichten kaum noch wissen, wo Sie anfangen sollen, nehmen Sie Hilfsangebote nicht an, weil Ihnen Ideen fehlen, wo Sie Unterstützung brauchen. Denken Sie an die alltäglichen Dinge, die – unabhängig von der Erkrankung Ihres Kindes – erledigt werden müssen. Je konkreter Sie um Hilfe bitten, desto größer ist die Entlastung.

Hier ein paar Ideen:

  • Ihr Nachbar mäht regelmäßig Ihren Rasen.
  • Ihr Bruder kocht hin und wieder für Sie mit.
  • Ein befreundeter Vater bringt Ihr jüngeres Kind gemeinsam mit seinem eigenen morgens zur Schule.
  • Ihr Nachbar putzt bei Ihnen die Fenster.
  • Ein Freund bringt Ihnen Obst und Gemüse vom Markt mit.
  • Ihre Tante erledigt Ihren Schriftverkehr.

Sie werden erleben, dass andere froh sind, helfen zu können.

Eine Fee fliegt in der Luft; sie hält eine Suppenkelle in der einen Hand. In der anderen befindet sich ein Topfdeckel. Auf dem Boden stehen 4 leere Schüsseln und ein Topf mit Suppe. Eine fünfte Schüssel mit Suppe wird von zwei Händen gehalten.

In Ihrer Partnerschaft haben Sie möglicherweise die Aufgabenbereiche so aufgeteilt, dass der besser verdienende Elternteil weiterhin berufstätig ist und so die finanzielle Absicherung für die Familie übernehmen kann, und der andere Elternteil die Versorgung des Kindes leistet. Diese Aufteilung begegnet uns häufig und es gibt viele Gründe für eine solche Entscheidung. Gleichzeitig kann es hilfreich sein, hin und wieder (Teil-)Aufgaben abzugeben und sich auf diese Weise Entlastung innerhalb der Partnerschaft zu ermöglichen. 

Versuchen Sie, sich gegenseitig zu vertrauen und sprechen Sie darüber, was Ihnen wichtig ist und warum Ihnen etwas wichtig ist.

„Insbesondere in der Anfangszeit werden die Väter nicht selten von der Versorgung des Kindes befreit. […] Erst im Laufe der Zeit wird ihnen [den Müttern] klar, dass sie damit den Vätern signalisieren, dass diese sich um die Versorgung des Kindes nicht kümmern müssen. Um jedoch Entlastung vom Partner zu erhalten, müssen sie akzeptieren, dass dieser die Dinge unter Umständen anders macht als sie selbst.“

Aus „Gesundheitsbezogene Lebensqualität von Müttern mit einem pflegebedürftigen Kind (GesuLeM)“ von Christa Büker und Severin Pietsch, Seite 29

Ein Mann streckt die Hände nach oben und greift nach einem rot-weiß gestreiften Rettungsring.